Das Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung

Nina Zimmer
24. Juni 2024

Am 14. Mai 2019 traf der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Rahmen des sogenannten „Stechuhr-Urteils“ eine Grundsatzentscheidung und stellte fest, dass die Zeiterfassung für Arbeitgeber in der EU Pflicht ist.

Arbeitgeber müssen die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter täglich, systematisch und lückenlos erfassen. 

Die einzelnen Mitgliedstaaten der EU sind nun verpflichtet, entsprechende nationale, datenschutzkonforme Vorschriften zu erlassen, die die Zeiterfassungspflicht für Arbeitgeber regeln.

1. Warum hat der EuGH dieses Urteil zur Zeiterfassung gefällt?

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs basiert auf dem Fall C-55/18, der von der spanischen Gewerkschaft CCOO gegen die Deutsche Bank eingebracht wurde.

Die Gewerkschaft forderte, dass die Deutsche Bank eine Arbeitszeiterfassung einführen müsse, da das Fehlen eines Systems zur Arbeitszeiterfassung es den Arbeitnehmern unmöglich mache, ihre tatsächlich geleistete Arbeitszeit und Überstunden nachzuweisen. Dies verstoße gegen die EU-Arbeitszeitrichtlinie und die Grundrechtecharta der EU.

Der EuGH folgte dieser Forderung und urteilte, dass nur mit einem Arbeitszeiterfassungssystem die Einhaltung der vorgeschriebenen Höchstarbeitszeiten oder die Mindestruhezeiten gemäß der EU-Arbeitszeitrichtlinie gewährleistet werden könne.

Das vollständige Urteil können Sie hier nachlesen.

2. Das Urteil im Überblick

2.1. Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Der EuGH hat mit dem Stechuhr-Urteil festgestellt, dass Arbeitgeber die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten systematisch und lückenlos erfassen müssen. Daher müssen die Mitgliedsstaaten der EU ihre Arbeitgeber auf nationaler Ebene zur Arbeitszeiterfassung verpflichten.

EUGH Urteil

2.2. Anforderungen des EuGH an ein System zur Arbeitszeiterfassung

Der EuGH verweist in seinem Urteil darauf, dass die Arbeitszeiterfassung dazu dienen soll, die Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften – zum Beispiel im Hinblick auf Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten oder Überstunden – sicherzustellen.

Das werde durch die systematische und lückenlose Erfassung der täglichen Arbeitszeit sichergestellt. Was genau darunter verstanden wird, wurde jedoch nicht näher erläutert.

2.3. Form der Zeiterfassung

Wie genau die Arbeitszeit der Beschäftigten erfasst werden soll, hat der EuGH nicht ausdrücklich definiert.

Für die Ausgestaltung sind die Gesetzgeber der Mitgliedsstaaten selbst verantwortlich. Theoretisch kann die Arbeitszeit sowohl mit der Hand per Stift und Papier oder in Excel als auch mit einem digitalen Zeiterfassungssystem dokumentiert werden. Die Mitgliedsstaaten können jedoch auf nationaler Ebene Vorschriften zur Form der Arbeitszeiterfassung erlassen.

Die Zeiterfassungssysteme müssen allerdings zumindest folgende Kriterien erfüllen:

Objektiv und manipulationssicher: Das System muss eine präzise und unparteiische Erfassung der Arbeitszeiten ermöglichen. Es muss zudem sichergestellt werden, dass die tatsächlichen Arbeitsstunden korrekt und vollständig aufgezeichnet werden und keine Manipulation der Zeiten möglich ist.

Verlässlich und nachweislich: Alle Daten müssen sicher gespeichert werden und die Zeiterfassung muss gegen Datenverlust geschützt sein. Zur Beweissicherung darf es zudem nicht möglich sein, einmal dokumentierte Zeiten zu verändern.

Zugänglich: Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer müssen problemlos Zugang zu den erfassten Arbeitszeiten haben. Dies ermöglicht Transparenz und Überprüfbarkeit, sodass beide Parteien die erfassten Zeiten einsehen und kontrollieren können.

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Experten-Tipp

Die Arbeitszeiten der Mitarbeiter manuell auf Papier oder in Excel-Listen zu erfassen, ist keine optimale Lösung. Das Risiko ungenauer Daten ist hoch und die handschriftliche Zeiterfassung verursacht erheblichen Mehraufwand für die Mitarbeiter.

Dadurch gehen sehr viele wertvolle Arbeitsstunden verloren und die Einhaltung rechtlicher Vorschriften kann nur schwer gewährleistet werden.

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Digitale Zeiterfassung ist die effizienteste Art der Arbeitszeiterfassung.

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2.4. Arbeitszeiterfassung und Datenschutz

Das EuGH-Urteil hat Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Überwachung der Beschäftigten ausgelöst. Viele befürchten, dass die umfassende Zeiterfassung einer Überwachung der Mitarbeiter gleichkommt. Datenschutz ist daher bei der Einführung und Nutzung von Zeiterfassungssystemen von zentraler Bedeutung.

Für Sie ist es wichtig zu wissen, dass mit einer sorgfältigen Gestaltung der Zeiterfassungssysteme sowohl die rechtlichen Anforderungen erfüllt sind als auch der Datenschutz Ihrer Mitarbeiter gewährleistet ist.

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Um die Privatsphäre der Mitarbeiter zu schützen, sollten Sie die folgenden Prinzipien, die auf EU Ebene durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bindend festgelegt sind, berücksichtigen: 

  1. Datenminimierung: Sie sollten stets nur die Daten erfassen, die sie tatsächlich zur Arbeitszeitdokumentation und zur Erfüllung gesetzlicher Anforderungen benötigen.
  2. Transparenz: Informieren Sie Ihre Mitarbeiter darüber, welche Daten erfasst werden, zu welchem Zweck und wie diese Daten verwendet und gespeichert werden.
  3. Sicherheit: Sie müssen dafür Sorge tragen, dass die erfassten Daten sicher gespeichert und gegen unbefugten Zugriff geschützt werden. Dies können Sie durch technische Maßnahmen, wie zB Datenverschlüsselung, und organisatorische Maßnahmen, wie zB Zugangskontrollen, sicherstellen.
  4. Zugriffsrechte: Ihre Mitarbeiter sollten dazu berechtigt sein, ihre eigenen Daten einzusehen und Korrekturen vorzunehmen, wenn Fehler festgestellt werden.
  5. Zweckbindung: Sie dürfen die erfassten Daten nur für den vorgesehenen Zweck verwenden und sollten sie nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen löschen.

3. Was bedeutet das EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung für Deutschland?

Deutschland

Deutschland ist, wie die restlichen EU-Mitgliedsstaaten, durch das Urteil daran gebunden, die EU-Arbeitszeiterfassungspflicht mit dem Erlass nationaler Gesetze umzusetzen.

Diese Gesetze müssen den EU-Anforderungen entsprechen und somit sicherstellen, dass Arbeitgeber ein derartiges System zur Arbeitszeiterfassung einführen, welches auch datenschutzrechtlich sämtliche EU-Anforderungen erfüllt. 

In Deutschland war eine verpflichtende Zeiterfassung bisher nur für bestimmte Branchen im Rahmen des Mindestlohngesetzes vorgesehen. Darüber hinaus mussten bisher laut Arbeitszeitgesetz nur Überstunden, die über die Regelarbeitszeit von 8 Stunden hinausgehen, erfasst werden.

Aufgrund des Stechuhr-Urteils müssen in Zukunft deutsche Arbeitgeber nun Systeme schaffen, die eine objektive, verlässliche und zugängliche Zeiterfassung ermöglichen und alle datenschutzrechtlichen Anforderungen erfüllen. 

3.1. Ab wann gilt das EuGH-Urteil in Deutschland?

Das Urteil ist seit seiner Veröffentlichung für Deutschland rechtsverbindlich, da es unmittelbare Wirkung hat. Dies liegt daran, dass der EuGH seine Entscheidung auf Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta der EU stützt, die unmittelbar rechtsverbindlich ist und unmittelbare Rechte für EU-Bürger schafft. 

3.2. Bedeutet die Arbeitszeiterfassungspflicht das Ende der Vertrauensarbeitszeit in Deutschland?

Die Arbeitszeiterfassungspflicht erfordert Anpassungen in der Dokumentation von Arbeitszeiten, aber sie bedeutet nicht das Ende der Vertrauensarbeitszeit. Unternehmen können weiterhin flexible Arbeitsmodelle anbieten, solange sie sicherstellen, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitszeit eingehalten und dokumentiert werden. 

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Die Einführung von Arbeitszeiterfassungssystemen schließt nicht aus, dass Mitarbeiter weiterhin flexibel arbeiten können. Es bedeutet lediglich, dass die geleisteten Arbeitsstunden nachvollziehbar dokumentiert werden.

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4. Bisherige Entwicklung zur Umsetzung der Arbeitszeiterfassungspflicht in Deutschland

In Deutschland hat der nationale Gesetzgeber bisher noch kein Gesetz erlassen, um das Urteil des EuGH in nationales Recht umzusetzen.

Die bisherige Entwicklung zur Umsetzung der Arbeitszeiterfassungspflicht in Deutschland verläuft in mehreren Schritten:

4.1. EuGH-Urteil: Startschuss für die Zeiterfassungspflicht

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs war der Ausgangspunkt für die Debatte über die Zeiterfassungspflicht und sorgte in Deutschland für Aufmerksamkeit, blieb jedoch zunächst ohne konkrete Folgen. 

4.2. BAG-Urteil: Zeiterfassungspflicht bestätigt

Am 13. September 2022 (1 ABR 22/21) bestätigte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in Deutschland. Damit setzte das BAG das EuGH-Urteil um und unterstrich, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System zur Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten einzuführen.

4.3. Referentenentwurf des BMAS: Vorschlag zur Ausgestaltung der Zeiterfassungspflicht

Im Juni 2023 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) einen Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgelegt. Dieser Entwurf konkretisiert die Anforderungen des EuGH-Urteils und sieht folgende wesentliche Punkte vor:

  • Pflicht zur Arbeitszeiterfassung: Arbeitgeber müssen die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter vollständig und genau erfassen.
  • Elektronische Erfassung: Die Arbeitszeiterfassung soll elektronisch erfolgen, um die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Daten zu gewährleisten.
  • Datenschutz: Der Entwurf betont den Schutz der persönlichen Daten der Mitarbeiter und stellt sicher, dass diese Daten nur für gesetzlich vorgeschriebene Zwecke verwendet werden.
  • Kontrollen und Sanktionen: Es sind Maßnahmen zur Kontrolle durch die zuständigen Behörden und Sanktionen für Verstöße vorgesehen.
Arbeitszeiterfassung - Die gesetzlichen Anforderungen

4.4. Status quo und Ausblick zur Zeiterfassungspflicht in Deutschland

Obwohl es gesetzliche Bestrebungen gibt, das EuGH-Urteil in nationales Recht umzusetzen, ist die konkrete gesetzliche Regelung zur Arbeitszeiterfassung in Deutschland noch nicht vollständig verabschiedet. Durch das BAG Urteil sind bereits jetzt alle deutschen Arbeitgeber zur umfassenden Zeiterfassung verpflichtet. Viele Fragen sind jedoch noch offen, da bisher keine entsprechenden nationalen Gesetzesänderungen erlassen wurden. Unternehmen befinden sich damit in einer Art Übergangsprozess.

Es wird erwartet, dass die gesetzlichen Anpassungen in den kommenden Monaten weiter konkretisiert und verabschiedet werden. Die Einführung einer verpflichtenden elektronischen Zeiterfassung scheint sicher.

Somit müssen Sie sich jedenfalls auf strengere Vorgaben und eine elektronische Arbeitszeiterfassung einstellen und letztendlich ein entsprechendes System implementieren, das den Anforderungen gerecht wird.

Alles was Sie zur Arbeitszeiterfassungspflicht wissen müssen und jetzt gerade in Deutschland gilt finden Sie hier.

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